An einem kalten Winterabend im Jahre 197* saßen S. und M. in der Destille von Alfred Niewöhner in der G…Straße in Hamburg-W. Um die Kälte zu verjagen, sprachen sie reichlich dem Punsch zu und versuchten mit allerlei Mätzchen und Sprüchen zwei weibliche Wesen zu beeindrucken, aber die kühlen Blonden zeigten sich ungerührt, obwohl S. sogar den Ärmel seiner Jacke anzündete und kurz darauf mit Punsch löschte.
Enttäuscht verließen S. und M. gegen Mitternacht das Niewöhnersche Etablissement, um in der nahegelegenen Wohnung von M. Schlaf zu finden. Die enge Treppe hochstolpernd, fanden sie sich vor zwei gleichen Türen und entschieden sich für die linke. Zu ihrer Überraschung befanden sie sich in der Wohnung von H., dem Nachbarn von M.
Aus dem Schlaf gerissen erschien H. in einem braun-weiß gestreiften Pyjama, um nach dem Anlass der nächtlichen Störung zu fragen. Er war angenehm überrascht, als ihm S. als der bekannte Künstler P. aus D. vorgestellt wurde, worauf die ebenfalls erwachte Frau V. eine gute Flasche Wein entkorkte.
M. erklärte, dass H. auch ein Künstler sei, der vornehmlich preziöse Radierungen herstellte. H zeigte einige seiner Radierungen, die in einem Graphikschrank neben dem Kohleofen lagerten. S. erkundigte sich ohne Umschweife, ob H. damit denn auch Kohle mache, was H. zögerlich bejahte.
Daraufhin griff S., wohl aus einem Analog-Schluß, zu dem Blecheimer, in dem Eierkohlen neben dem Ofen lagerten und schüttete die Kohlen in den Graphikschrank auf die Radierungen von H. Entsetzt starre H. auf sein ruiniertes Gesamtwerk. S. und M. zogen sich zurück, um in M.’s Wohnung den verdienten Schlaf zu genießen. Am kalten Ölofen wachte am nächsten Morgen M. vor S. auf, und ihn schlug sofort das schlechte Gewissen über den barbarischen Akt von letzter Nacht. Er weckte S. und sie begaben sich zu H., entschuldigten ihren Überschwang und boten an, so gut es ging, den Schaden zu beheben. Die Kohlen wurden vorsichtig eingesammelt, die Radierungen liebevoll abgestaubt und einige Lineale von H. sogar in Seifenwasser sorgfältig abgewaschen.
Im übrigen hatten die Radierungen von H. gar nicht so sehr gelitten, sondern hatten durch die “freie” Behandlung eher an Aura gewonnen. So fand eine unangenehme Geschichte ihr gutes Ende.
Ernst Mitzka